Jedermannrennen: Ehrgeiz macht Spaß

von Redaktion ‎ 02/04/2024
Winter in Österreich
Jedermannrennen: Ehrgeiz macht Spaß

EIN BISSERL VERRÜCKT muss man schon sein, um sich mit anderen auf einem Terrain zu vergleichen, das Tempo bis zu 100 km/h zulässt. Oder zumindest sehr selbstbewusst. „Wie die kleinen Kinder!" Dieser Aussage einer liebenden Gattin, die den Vater ihrer Kinder ohne Rücksicht auf allfällige Selbstbeschädigung das Madloch hinunterrasen sah, ist wenig hinzuzufügen. Es sagt alles über die Jedermannrennen aus. Es sind kaum Jederfraurennen, auch wenn die Damenklassen zunehmend stärker frequentiert sind. Geschlechtsunabhängig dominieren dem aktiven Rennfahreralter deutlich entwachsene, die sich zu Klassikern wie Der Weiße Ring – Das Rennen in Lech-Zürs, Der Weiße Rausch auf der anderen Seite des Arlbergs in St. Anton oder vergleichbaren Amateurrennen einfinden. 

Anlässe, bei denen jede und jeder ungestraft die Pistensau rauslassen darf. Das gilt zumindest für alle, welche die oft sehr kurzen Zeiten zu nützen verstehen, in denen die Online-Anmeldung möglich ist. Denn nicht selten sind die Startplätze schon nach wenigen Stunden vergeben. Das gilt vor allem für die großen alpinen Races. Doch es gibt Jahr für Jahr immer mehr Möglichkeiten für den Wettstreit, der sich längst auch auf unterschiedliche Langlaufrennen und noch anstrengendere Skibergsteiger-Wettkämpfe erweitert hat. Manchmal sind es sogar – vielleicht ein Tribut an den Klimawandel – winterliche Hindernisrennen, deren Terrain irgendwo zwischen Gatsch, Matsch und Schnee angesiedelt ist. Letztere sind wohltuend unabhängig von Schneelagen oder Witterungsbedingungen. 

ABSAGEN sind bei Skirennen leider nie auszuschließen. Das gilt auch für diese Amateurrennevents. Denn Sicherheit geht vor. In der Regel ist es keine Pandemie, sondern das Wetter, das einen Strich durch die Rechnung macht. Das trifft die Veranstalter meist hart, auch wenn die Teilnehmer in der Regel durch ihre verlorenen Teilnahmegebühren das Risiko mittragen. Doch der organisatorische und damit finanzielle Aufwand für diese Großveranstaltungen ist enorm. Armin Assinger, Ex-Abfahrtsstar und Millionenshow-Moderator, kann ein Lied davon singen. „Schlag das Ass!“ war der Titel des Massenrennens am Kärntner Nassfeld. Wobei Ass viele Jahre auch für die Assinger-Brüder stand, die anfänglich dominierten. Nach Corona und schwierigen Schneelagen ist der Spaß vorbei. Das letzte Rennen wurde 2020 durchgeführt, nun ist auch offiziell Schluss. Schade, denn beide Ski Guide-Autoren  hatten bei diesem Rennen schon großen Spaß. Denn „Schlag das Ass“ zeichnet sich besonders durch seine Kärntner Lockerheit und Gaudi bei der Winnerparty im Zielstadion aus. 

Fix weiter geht es 2024 mit „Der weiße Ring - Das Rennen“. Wenn das Wetter mitspielt. 2023 hatte es zuerst gar nicht so  schlecht ausgesehen, doch der Nebel blieb in Lech 500 Meter oberhalb des Orts hartnäckig. Wer einmal  mit angelegter Startnummer  wartend alle Minuten aufs Handy schaut, ob schon eine „Zum Start“-SMS eingetroffen ist, weiß, wie es den Profis gehen muss. Oder weiß es nicht, weil unsereins ist ja wesentlich nervöser, als Menschen, denen der Skisport zum Broterwerb dient. Kurzum: Nach zwei Stunden mussten die Veranstalter aufgeben, obwohl über weite Strecken rasanten Fahrten nichts im Wege gestanden war. Doch wenn die Rettungshubschrauber nicht aufsteigen können, dann bleibt die Absage die einzige Möglichkeit. Das ist furchtbar schade, denn es ist ein wahrlich außergewöhnlicher Event. Wenn der Lautsprecher scheppert, Publikum applaudiert und die Startuhr den vom Weltcup gewohnten Sekundentakt vorgibt. 

Skifahrer und Snowboarder, Männer und Frauen, fast allen ist jene von Lockerheit übertünchte Nervosität gemein, die sie schon bei den Treffs am Abend zuvor prägte. Nein, wer erst einmal für ein derartiges Skirennen einen Startplatz ergattert hat, entkommt ihm nicht: Dem Ehrgeiz, schnell zu sein. Für den Ski Guide Austria-Verfasser wäre es der sechste Start zum Weißen Ring gewesen. Schon bei der Anreise waren die Ziele aus den Erfahrungen der Vorjahre klar umrissen: Sturzfrei und in der vorderen Hälfte das Ziel erreichen. Was treibt aber gar nicht so ehemalige Sportstars dazu, sich mit Fullspeed in die sichere Niederlage zu begeben? „Einmal wieder voll das Adrenalin spüren“, verriet der deutsche Ex-Teamtorhüter Jens Lehmann. Abgelassen wird alle 100 Sekunden ein 20er-Paket. Beim Start türmt sich ein Hügel auf, der sich mit dem letzten Piepton zum Berg mausert. Der Anstieg dient dazu, das Getümmel in der Abfahrt zu reduzieren. Das Sauerstoffdefizit lässt sich auch auf den flachen ersten hundert Abfahrtsmetern nicht vertreiben. Der Atem bleibt hechelnd, bis mittleres Gefälle mit drei Super-G-Toren beschleunigend wirkt. Der Spaß an der Freud’ gewinnt die Oberhand. Eine der wichtigsten Lehren aus den vorhergehenden Besichtigungen: „Tiefe Hocke bringt ein paar Sekunden, kostet aber zum Schluss Minuten“. Die Auffahrten sorgen für Erholungspausen. In diesen Momenten hängt einen nicht mal Hausherr und  Olympiasieger Patrick Ortlieb ab. Außerdem wurde die Strecke fast alljährlich ein wenig länger, um das Tempo im Griff zu haben. Beim Ansteuern der Brücke über die  Bundesstraße in Zürs ist stets volle Konzentration gefordert. Der Weg ist schmal, 2011 überstand eine Rennläuferin die Bekanntschaft mit dem Felsen nur mit lebensgefährlichen Verletzungen. Da geht man’s lieber ruhiger an, schnauft am Seekopf-Sessellift durch. Oben wartet das berühmte Madloch, der technisch anspruchsvollste Abschnitt der Runde. Die Bretteln heben ab und dann Hocke, Hocke bis der steilste Abschnitt folgt. Auf der Balmalp steht später der Hüttenwirt mit Schnapserln zur Stärkung bereit. „Danke, mir ist schon schlecht“. Danach kommt vielleicht der schönste Part der Strecke: Schnelle Schwünge, kurze Schrägfahrten, schließlich hinunter nach Oberlech. Hier wird die absolute Höchstgeschwindigkeit erreicht. „Wir haben hier Spitzen von über 130 Stundenkilometern gemessen“, berichtet ein Mitglied des Siegerteams im Ziel. 

BEIM TEAMBEWERB RISE & FALL stehen in Mayrhofen weniger Ausdauer und Überwindung, denn Prominenz und Fun im Zentrum. Es ist eines der wenigen  Dezemberevents auf diesem Gebiet und verbindet Ski Touring, Paragliding, Mountain Bike und Alpinski oder Snowboard. Da braucht es manchmal schon des intensiven Einsatzes von Schneekanonen, damit der Event in voller Pracht über die Bühne gehen kann. Mit knapp über 40 Minuten Gesamtzeit handelt es sich bei Rise & Fall fast um einen Sprintbewerb unter diesen immer beliebter werdenden Veranstaltungen. Mit Hubschrauber-Livebildern, Stars und reißerischem Auftritt arbeitet man erfolgreich daran, eine außergewöhnliche Stellung zu erreichen. Nun gibt es bei diesem traditionsreichen Teambewerb auch eine Single- und Kids-Wertung.

SO WEICH IST ECHT HART. Aber wir haben's überstanden. Denn der Weiße Rausch ist das Aushängeschild unter den Rennen, die unter der Devise „Wer schafft es am schnellsten vom Gipfel ins Tal“ traditionell zu Saisonschluss ausgetragen werden. Im Abstand mehrerer Jahre dürfen sich beide Ski Guide-Autoren schon mehrfach als Der-
Weiße-Rausch-Finisher bezeichnen. Das Kapperl bezeugt’s! Dabei kann eines verraten werden: Die Events hatten es zuletzt ordentlich in sich, dafür sorgten Temperaturen jenseits der 20 Grad. Im Schatten. War aber 2023 wieder den ganzen Tag fast keiner zu entdecken. Der Start der dritten und letzten Gruppe am letzten Skitag der Saison war 17.30 Uhr, der Wasserstand war zwar stellenweise geschätzt 60 Zentimeter. Zwischen den meterhohen Buckeln der Kandahar rannen sanfte Bächlein dahin. Soviel zur Strecke. Es war 2023 wirklich extrem fordernd. Denn es hatte im Frühjahr noch einmal viel geschneit, der Schnee hatte sich auf der Piste aber nicht mehr richtig verfestigt.  Wer sich konditionell nicht richtig vorbereitete wurde so abgestraft. Der Weiße Rausch hat zwei emotionale Höhepunkte: Das eine ist der Start unterhalb der Valluga in endlos aufgefädelter Reihe. Bis zu 200 Starter, die nach einem Böllerschuss schnurgerade loslegen. Bis halt die ersten den Sicherheitsschwung einlegen und andere ihre Ausrüstung unfreiwillig über den Hang verstreuen. Den dahinter Kommenden bleiben dann ohnehin nur mehr die Schwünge, die den  anschließenden Schmerzensberg – einen Anstieg von bis zu 30 Höhenmetern – noch länger als beim  vorhergehenden Test machen. Die Zielankunft ist übrigens der zweite emotionale Höhepunkt, bei dem sich das zahlreiche Publikum an den komplett fertigen Läuferinnen und Läufern ergötzt, die zum Schluss noch einige Hürden mit den Skiern in der Hand zu bewältigen haben. Was sich dazwischen abspielt? Los geht es auf 2.650 Metern Seehöhe am Vallugagrat, in Gesellschaft nicht minder nervöser Skisportler, denn die Spannung bis zum Böllerschuss ist spürbar. Neun Kilometer, 1.300 Höhenmeter sind die Eckdaten. Wobei gleich nach der ersten Schußabfahrt der erwähnte mehrere hundert Meter lange Aufstieg zu bewältigen ist. Zusammenstöße und Stürze sind trotz Vorsicht nie gänzlich zu verhindern. Dann geht es im Schuss an der Ulmerhütte vorbei durchs Steißbachtal, wenn nicht Lawinengefahr dafür sorgt, dass die Streckenführung die steile Buckelpiste der Kandaharabfahrt inkludiert. Das relativiert auch diverse Bestzeiten. Die absolute Topzeit steht bei 7 Minuten 40 Sekunden für die 9 Kilometer.

Doch die Zeiten sind relativ. An kühlen Tagen sind die Pisten oft noch in einem relativ guten Zustand und die geänderte Streckenführung kostet ebenfalls über eine Minute. Die Zeit spielt letztlich für die meisten Teilnehmer nur eine Nebenrolle. Ankommen und Spaß haben, ist die Devise. Denn im Ziel mutiert das Rennen zur Party. Die Sieger – und alle anderen Helden des Tages – werden auf großer Bühne mit Rahmenprogramm gefeiert. Auch für die Zuseher, die sich meist in großer Zahl auf den Zielbereich konzentrieren, ist der „Weiße Rausch“ somit ein unterhaltsames Finale der Skisaison. 

ES GIBT NOCH MEHR VARIANTEN, um sich auf oder auch abseits der Pisten mit anderen zu messen. Dafür entsteht Neues, vor allem am Ausdauersektor. Die Mountain-Attack (6 Gipfel, 3.008 Höhenmeter, 40 km Streckenlänge) ist nur ein Extrembeispiel aus Saalbach-Hinterglemm, wobei anders als bei reinen Abfahrtsrennen eine intensive konditionelle Vorbereitung die Grundvoraussetzung ist. Die 25. Auflage wird unter anderem von einem Junior-Sprint ergänzt.

NOCH MEHR AUSDAUER ist bei den zahlreichen Volkslangläufen, deren berühmtester der Tiroler Koasalauf ist, gefragt. In Hochfilzen wiederum kann man sich beim Volksbiathlon zusätzlich als Schütze versuchen. Ins zweite Jahr gehen diesen Winter die Ski Classics im hoch gelegenen Sportgastein (1.600m). Sowohl die 35 Pro Teams als auch begeisterte Hobbysportler begeben sich auf die Loipe. Der Atem bleibt einem ohnehin weg. Der „Spielplatz“ des 13-fachen nordischen Medaillengewinners Bernhard Gruber erweist sich als würdiger Austragungsort für das erste Rennen der Serie (15 und 35 km).

EBENFALLS NEU sind winterliche Hindernisparcours. Das Spartan Race Winter Edition mit Sprint und Super Race in Zell am See Kaprun ist das einzige seiner Art im deutschen Sprachraum. Aufgrund der rauen winterlichen Temperaturen und den zahlreichen Höhenmetern wird empfohlen, nur bei ausgezeichnetem körperlichen Zustand anzutreten. 

NOSTALGIESKIRENNEN sind der absolute Kontrast dazu. Hier gibt es für romantisch-verspielte Menschen die Chance im nostalgischen Outfit einstigen Idolen nachzueifern. Wenn man kann. Natürlich steht zum Beispiel auf der Schmitten von Zell am See eher Nostalgie, als das Rennen im Vordergrund, doch auch hier regiert sichtbar der Ehrgeiz: Wenn eine Teilnehmerin sich im wallenden Outfit einer Skigräfin in den Flaggenwald hinabstürzt, um beim dritten Tor einen formidablen Abflug zu starten, den sie mit breitem Grinsen am nächsten Flachstück beendet. Oder ein Slowene, dessen wallender Bart dem Rock der Gräfin kaum nachstand, begibt sich mit kantenlosen Skiern und Einstocktechnik auf die Kunstschneepiste. Und scheitert spektakulär.